Mainframes im öffentlichen Sektor: Backsourcing bringt neue Stärke

Ein Forschungsteam hat erstmals eine umfassende Fallstudie zum sogenannten Backsourcing im öffentlichen Sektor vorgelegt – also zur Rückführung von zuvor ausgelagerten IT-Entwicklungsleistungen in die eigene Organisation. Untersucht wurde die norwegische Arbeits- und Sozialbehörde NAV, die zwischen 2017 und 2019 die Entwicklung von über 100 Software-Systemen wieder in Eigenregie übernahm.

Wie die Autoren Casper Lassenius (Aalto University), Parastoo Mohagheghi (NAV) und Jefferson Molléri (Kristiania University) in ihrer Veröffentlichung für Empirical Software Engineering berichten, war der Hauptantrieb der Entscheidung die Kostensenkung – externe Dienstleister hätten sich als teuer und bürokratisch erwiesen. Zudem sei der Wunsch gewachsen, wieder die volle Kontrolle über die Systemlandschaft zu erlangen und den technischen Schuldenberg zu reduzieren. Die gewachsene IT-Landschaft der Behörde – einschließlich mehrerer großer Mainframe-Systeme – war über Jahre von Verträgen, Abhängigkeiten und fragmentierten Prozessen geprägt.

Das Backsourcing war laut der Studie in sechs Leitprinzipien organisiert gewesen: eine klare Strategie und Kommunikation, Autonomie der Fachbereiche, Aufbau eigener Kompetenzen, zentrale Unterstützung für Personal und Verträge, partnerschaftlicher Umgang mit den bisherigen Dienstleistern sowie ein schrittweiser Übergang statt „Big Bang“. Bemerkenswert sei die enge Zusammenarbeit mit den auslaufenden Anbietern gewesen, die den Wissensübergang aktiv unterstützt hätten.

Besonders interessant ist der Blick auf das Fachkräfte-Thema: Obwohl es keine gezielten Versuche gab, Personal von den externen Dienstleistern abzuwerben, hätten sich einzelne Fachleute mit tiefem Wissen über die Legacy-Systeme – darunter Senior Developer und Mainframe-Spezialisten – auf eigene Initiative hin bei der Behörde beworben. Diese seien laut den Forschenden von den neuen internen Teams sehr geschätzt worden. Zugleich habe die NAV umfangreiche interne Umschulungen vorgenommen: Mitarbeitende wechselten in neue Rollen – etwa von Fachberater zu Product Owner, von Projektleiter zu Teamlead oder von technischen Beratern zu Tool- und Datenexperten. Damit sei es gelungen, bestehendes Wissen zu halten und zugleich agile, funktionsübergreifende Teams aufzubauen.

In der Trendanalyse der Forschenden zeigt sich zudem ein deutlicher struktureller Wandel: Während 2016 noch rund 91 % der untersuchten IT-Komponenten ausgelagert waren, befanden sich 2021 fast ebenso viele wieder in Eigenverantwortung. Besonders bemerkenswert sei laut den Interviewpartnern, dass NAV in der Lage war, auch für Mainframe-Anwendungen erfolgreich neue Entwicklerinnen und Entwickler zu gewinnen – etwas, das 2016 noch als unrealistisch galt. Die ursprünglich geplante stärkere Nutzung von SaaS-Lösungen habe sich hingegen nicht durchgesetzt, unter anderem wegen Sicherheitsanforderungen und technologischer Komplexität. Der Wechsel vom Outsourcing hin zum Eigenbetrieb sei vertraglich einfacher und schneller umsetzbar gewesen als ein vollständiger Technologiewechsel.

Zu den Ergebnissen des Backsourcing zählt nach Angaben der Forschender eine erhöhte Liefergeschwindigkeit (durch kontinuierliche Deployments statt Quartalsreleases), ein gestiegenes Verantwortungsgefühl und bessere Systemqualität – jedoch keine nachweisbaren Kosteneinsparungen. Die in der Studie ausgewerteten Daten zeigen zudem einen deutlichen Rückgang gemeldeter Systemstörungen über den gesamten Beobachtungszeitraum hinweg – ein Hinweis darauf, dass die Qualität der Anwendungen nach der Rückführung spürbar zugenommen hat (siehe Grafik unten).

Als Herausforderungen werden u. a. der Aufbau interner Kompetenzen, Rollenverschiebungen zwischen IT und Fachbereichen sowie organisatorische Spannungen genannt.

Das Paper kommt zu dem Schluss, dass Backsourcing gerade im öffentlichen Sektor eine wirksame Strategie sein kann, um Kontrolle über kritische Bestandssysteme – einschließlich Mainframes – zurückzugewinnen. Voraussetzung sei eine klare Strategie, gezielter Kompetenzaufbau und eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den bisherigen Dienstleistern. (td)

Abbildung: Rückgang der gemeldeten Systemstörungen (Incidents) pro Anwendungsbereich im Zeitraum von Juli 2017 bis Mai 2022. Die Daten zeigen einen deutlichen Qualitätszuwachs nach der Rückführung der Softwareentwicklung in die Eigenverantwortung. Quelle: Lassenius C., Mohagheghi P., Molléri J. S. (2025): Bringing it home: successful backsourcing of software development in the public sector, Empirical Software Engineering, 30:170. Lizenz: CC BY 4.0.