Anthropic hat in einem aktuellen Video demonstriert, wie sich ein historisch gewachsener COBOL-Bestand mithilfe von Claude Code automatisiert dokumentieren und in moderne Java-Strukturen überführen lässt. Als Beispiel nutzt das Unternehmen das öffentlich verfügbare „Mainframe Modernization Demo Repository“ von AWS – ein mittelgroßes Kreditkartenverwaltungssystem mit rund 100 Dateien, darunter COBOL-Programme, Copybooks und JCL-Skripte.
Im Video wird der Prozess in zwei Phasen beschrieben: Discovery & Dokumentation sowie Migration & Verifikation. Zunächst erzeugt Claude Code eine spezialisierte Sub-Agent-Konfiguration, die als Dokumentations- und Übersetzungsinstanz fungiert. Diese Agenten arbeiteten laut Video parallel und in getrennten Kontexten, um Verunreinigungen im Hauptkontext zu vermeiden. Anschließend analysierte Claude Code die gesamte Verzeichnisstruktur, erstellte eine To-do-Liste aller 94 relevanten Dateien und arbeitete diese systematisch ab. Das Tool extrahierte demnach nicht nur Kommentare oder einfache Funktionsbeschreibungen, sondern rekonstruierte komplette Geschäftslogiken, etwa am Beispiel eines Zinsberechnungsprogramms. Dabei wurden Workflows, Regelwerke, Fallback-Logiken und Datenflüsse beschrieben und zusätzlich in Übersichtsdateien sowie Mermaid-Diagrammen visualisiert. Insgesamt seien so binnen einer Stunde über 100 Seiten Dokumentation entstanden.
In Phase zwei zeigte Anthropic, wie der migrierte Funktionsbereich strukturiert in Java überführt wurde. Der Ansatz folgte einem vorher ausgearbeiteten Migrationsplan, der Projektstruktur, Datenmodellübertragung, I/O-Schicht, Geschäftslogik und Testharness umfasste. Der Anbieter betont, dass Claude Code idiomatische Java-Klassen erzeuge – also Code, der von heutigen Entwicklungsteams tatsächlich weiter gepflegt werden könne. Abschließend wird ein Vergleichstest beschrieben, in dem die Ergebnisse des COBOL-Originals und der Java-Migration bitgenau übereingestimmt hätten.
Doch genau an dieser Stelle setzt die Debatte an. Die Kommentarspalte unter dem Video zeigt ein ausgesprochen heterogenes Meinungsbild – und spiegelt in dieser Form die breitere Diskussion zur Rolle von KI in der Legacy-Modernisierung wider. Während einige Nutzer den gezeigten Ansatz als beeindruckenden Fortschritt bewerten, äußern viele erhebliche Zweifel an seiner Praxistauglichkeit.
Auffällig häufig wird bezweifelt, dass der gezeigte Ablauf auf realen, komplexeren Beständen stabil funktionieren könne. Kommentatoren weisen darauf hin, dass große COBOL-Systeme häufig über Jahrzehnte gewachsen seien, mit teils chaotischen Abhängigkeiten, eingebetteten Assembler-Routinen, tape-basierten Verarbeitungspfaden oder mehrfach überarbeiteten Datenbankstrukturen – und damit weit von einem didaktisch aufbereiteten Beispielszenario entfernt. Mehrere Stimmen argumentieren, dass LLMs bei unbekannten oder impliziten Verhaltensmustern eher raten als analysieren würden und somit gerade jene entscheidenden 20–30 % der Logik verfehlten, die bei Kernbanksystemen sicherheitskritisch seien.
Andere meldeten technische Einschränkungen: Kontextfenster, Tokenlimits oder Modellverfügbarkeit würden in der Praxis Grenzen setzen. Einige Nutzer merkten an, dass die verwendeten Modelle in dieser Form nicht allen zahlenden Kunden zur Verfügung stünden. Darüber hinaus wurde auch die Kostenfrage hervorgehoben – etwa der Hinweis, dass solche Analysen „Millionen von Tokens“ verbrauchten und damit schnell in den vier- oder fünfstelligen Dollarbereich gelangen könnten.
Gleichzeitig war aber auch Anerkennung zu finden. Einige Stimmen bezeichneten Claude Code als derzeit leistungsstärkstes am Markt verfügbares Werkzeug für Coding-Aufgaben. Andere lobten die strukturierten Pläne, die Visualisierung und die Fähigkeit, Legacy-Logik systematisch aufzubereiten. Mehrere Kommentatoren meldeten an, dass sie nach dem Video erstmals in Erwägung zögen, KI-Werkzeuge zur Dokumentation oder Refaktorierung eigener Altbestände auszuprobieren.
„Das gezeigte Beispiel mit Claude Code zeigt, wie stark KI die Dokumentation und Vorbereitung von Legacy-Migrationen heute beschleunigen kann. Stand heute ist sie aber weit davon entfernt, gewachsene Systeme verlässlich alleine zu migrieren“, ordnet Deniz Tüzel, KI-Consultant beim IT-Dienstleister DPS, ein. Implizite Regeln, fachliche Sonderfälle und regulatorische Anforderungen bleiben nach seiner Einschätzung die Achillesferse jeder automatisierten Modernisierung. In der Praxis sei Künstliche Intelligenz deshalb ein Analyse- und Beschleunigungswerkzeug, während Architekturentscheidungen, Freigaben und Verantwortung klar beim Menschen lägen. „Gerade deshalb sollten sich Banken und Dienstleister frühzeitig und bewusst mit Werkzeugen wie Claude Code oder anderen KI Coding-Agenten auseinandersetzen, um deren Nutzen und Grenzen in realen Szenarien zu verstehen“, konstatiert Tüzel. (td)


