Eine aktuelle Studie der Federal Reserve Bank of Atlanta zeigt, dass veraltete IT-Infrastrukturen erhebliche wirtschaftliche Folgen haben können. Laut dem Ökonomen Michael A. Navarrete verzögerten COBOL-basierte Systeme der US-Arbeitslosenversicherung während der COVID-19-Pandemie die Auszahlung von Leistungen massiv.
Staaten, deren Systeme auf der seit 1959 existierenden Programmiersprache liefen, verzeichneten demnach im Jahr 2020 eine um 2,8 Prozentpunkte stärkere Konsumabschwächung als modernisierte Bundesstaaten. Die verspäteten Auszahlungen minderten das US-Bruttoinlandsprodukt um geschätzt 40 Milliarden US-Dollar.
Navarrete macht dafür den geringen Automatisierungsgrad, die fehlende Anpassungsfähigkeit und den hohen manuellen Aufwand der COBOL-Systeme verantwortlich. Die Programme bestanden teils aus Millionen Zeilen unübersichtlichen Codes und ließen sich nur mit großem Aufwand an neue gesetzliche Vorgaben anpassen. Änderungen im Zuge des CARES Act – etwa neue Anspruchsregeln oder Zuschläge – konnten deshalb nur verzögert umgesetzt werden. Tatsächlich beeinflusste die technische Begrenztheit der Systeme sogar politische Entscheidungen: Da viele Staaten nicht in der Lage gewesen wären, eine prozentuale oder einkommensabhängige Berechnung der Zusatzleistungen zu programmieren, entschied sich die US-Regierung für eine einfache Pauschale von 600 US-Dollar pro Woche – mit dem Effekt, dass viele Empfänger kurzfristig mehr Geld erhielten als in ihrem früheren Job.
Die Methodik der Studie bleibt allerdings nicht ohne Einschränkung: Navarrete stützt seine Analyse auf einen Vergleich zwischen 28 „COBOL-Staaten“ und 22 modernisierten Bundesstaaten. Dabei verwendet er das Vorhandensein von COBOL als Proxy für mangelnde administrative Leistungsfähigkeit. Das ist methodisch nachvollziehbar, aber nicht völlig trennscharf: Faktoren wie politische Unterschiede, regionale Wirtschaftsstrukturen oder der Umgang mit COVID-19-Maßnahmen könnten das Ergebnis mitbeeinflusst haben. Zwar kontrolliert der Autor für einige dieser Variablen (u. a. Parteipräferenz, Infektionsraten, Arbeitslosenquote), doch bleibt die kausale Zuschreibung an COBOL in Teilen indirekt. Die Studie liefert also überzeugende Indizien – aber keinen endgültigen Beweis –, dass die technische Basis der IT-Systeme der Haupttreiber der Verzögerungen war.
Auch die Financial Times berichtet über die von der Atlanta Fed veröffentlichten Studie und zieht Parallelen zur Finanzbranche. Demnach sollten die Mainframes des Finanzsystems besser aufgestellt sein als die der öffentlichen Verwaltung – sie wurden in Krisen wie 2008 und 2020 unter realen Stressbedingungen getestet. Anders als im Public Sector lägen die Risiken hier jedoch in der Verlagerung kritischer Bankinfrastruktur in die Cloud, wo Zuständigkeiten und Sicherheitsgrenzen weniger klar definiert sind und viele Institute von denselben wenigen Anbietern abhängen. Auch der Einsatz von Künstlicher Intelligenz zur Analyse alter COBOL-Codes wird im Beitrag als Risikofaktor genannt.
Die Ergebnisse der Studie und die Einschätzungen der Financial Times verdeutlichen gemeinsam ein Dilemma, das viele Entscheider kennen: Der Verbleib auf alten COBOL-Systemen birgt Stabilitäts- und Effizienzrisiken, während Modernisierung neue Abhängigkeiten schaffen kann. Letztlich braucht es hier einen Mittelweg, der Stabilität und Zukunftsfähigkeit gleichermaßen sichert. (td)


