Dino Legacy Lessons von Uwe Graf

Mainframe-Fachkräftemangel in der Finanz-IT: Warum COBOL nur ein Teil des Problems ist

Die Finanzbranche steht beim Thema Fachkräftemangel im Mainframeumfeld vor einer besonderen Herausforderung.

Banken, Versicherungen und Zahlungsdienstleister betreiben hochkritische Kernsysteme, die auf stabilen und extrem zuverlässigen Mainframe-Landschaften basieren. Oft konzentriert sich die Diskussion auf fehlende COBOL-Expertinnen und -Experten. Doch der Engpass reicht deutlich weiter. Denn viele zentrale Funktionen in Finanzsystemen basieren auf Technologien, die in der öffentlichen Debatte kaum erwähnt werden – insbesondere auf Assembler und HLASM.

In den Kernprozessen der Finanz-IT finden sich zahlreiche Komponenten, die tief im System verankert und eng mit Assembler umgesetzt sind. Dazu gehören unter anderem:

  • Buchungslogiken in Kernbanksystemen
  • Batch-Verarbeitung im Zahlungsverkehr
  • Performancekritische Datenzugriffe auf VSAM und interne Speicherstrukturen
  • Sicherheits- und Recovery-Mechanismen
  • Komponenten zur Transaktionsüberwachung und Compliance

Assembler bildet die Basis vieler Funktionen, die für Stabilität, Performance und Sicherheit unerlässlich sind. Wer diese Ebene versteht, begreift auch die Architektur der gesamten Systemlandschaft – und damit die Prozesse, die das tägliche Geschäft der Finanzbranche tragen.

Finanzsysteme müssen große Datenmengen verarbeiten, unterbrechungsfrei verfügbar sein und strenge regulatorische Anforderungen erfüllen. Dazu kommen Vorgaben zu Datenschutz, Revisionssicherheit und Nachvollziehbarkeit.

Um diese Anforderungen dauerhaft zu erfüllen, benötigen Unternehmen Mitarbeitende, die erkennen, wie Daten verarbeitet werden, welche Speichermechanismen das System nutzt und wie interne Abläufe miteinander verknüpft sind. Höhere Programmiersprachen beschreiben lediglich die gewünschte Funktionalität. Erst der Blick in Assembler zeigt, wie sie technisch umgesetzt wird und wo mögliche Risiken liegen. Dieses Wissen entscheidet darüber, ob Probleme frühzeitig erkannt, Engpässe verhindert und Systeme zielgerichtet weiterentwickelt werden können.

Persönlicher Austausch und echtes Arbeiten am System

Aktuelle HLASM-Schulungen zeigen, wie wichtig persönlicher Austausch und echtes Arbeiten am System sind. Moderne Lernwerkzeuge und KI-basierte Assistenten können Lernprozesse strukturieren und Beispiele bereitstellen. Doch sie ersetzen nicht die Erfahrung, die beim direkten Umgang mit Dumps, Speicherstrukturen und realen Verarbeitungsabläufen entsteht. Nur wer selbst analysiert, versteht die Wechselwirkungen innerhalb eines Mainframes wirklich. Dieses Verständnis lässt sich nicht automatisieren.

Viele der erfahrenen Spezialistinnen und Spezialisten in den Mainframebereichen der Finanzbranche stehen kurz vor dem Ruhestand. Gleichzeitig steigen die technischen und regulatorischen Anforderungen kontinuierlich. Die Kombination aus Wissensabfluss und wachsender Komplexität erzeugt ein strategisches Risiko.

Entscheiderinnen und Entscheider sollten daher drei Punkte in den Blick nehmen:

  1. Systemwissen erhalten:
    Know-how in Assembler, HLASM und systemnahen Bereichen darf nicht verloren gehen.
  2. Neue Kompetenzen aufbauen:
    Nachwuchskräfte brauchen mehr als Sprachkenntnisse. Sie müssen die Funktionsweise des gesamten Systems verstehen.
  3. Praxisorientierte Weiterbildung stärken:
    Nur Schulungen, die direkt am echten System stattfinden, vermitteln das nötige Verständnis für komplexe Finanzprozesse.

Wirksame Qualifizierung in der Finanz-IT entsteht nicht durch Theorie, sondern durch das Arbeiten an realen Umgebungen. Dadurch lernen Mitarbeitende nicht nur, wie sie Code schreiben, sondern auch, wie Kernprozesse technisch realisiert werden und welche Systemmechanismen im Hintergrund wirken. Diese Form der Weiterbildung sichert langfristig die Stabilität kritischer Anwendungen – von Kernbanksystemen bis zu Zahlungsplattformen – und stärkt die gesamte Organisation.

 

Über den Autor: Uwe Graf ist Lead Modernization Architect bei der EasiRun Europa GmbH und gilt auf LinkedIn als eine der profiliertesten Stimmen in Sachen Mainframe-Modernisierung. Seine Beiträge sind fachlich präzise, pointiert – und unverkennbar durch den kleinen Dino, der als Symbol für den Brückenschlag zwischen Tradition und Innovation steht. Für sein Engagement in der Mainframe-Community wurde er 2025 sowohl als IBM Champion als auch als „Influential Mainframer“ von planetmainframe.com ausgezeichnet