Interview mit Uwe Graf: „Mainframe-Ausbildung darf nicht im Elfenbeinturm stattfinden“

Der Mangel an Fachkräften mit Mainframe- und Legacy-Know-how ist für Banken und Versicherungen längst eine strategische Herausforderung. Während erfahrene Experten unverzichtbar bleiben, fehlt es an einer jungen Generation, die ihr Wissen übernimmt. An deutschen Universitäten werden Sprachen wie COBOL oder PL/I kaum noch gelehrt – die Lücken vergrößern sich. Wie Wissenstransfer dennoch gelingen kann und welche Rolle praxisnahe Ausbildung spielt, darüber haben wir mit Uwe Graf, Lead Modernization Architect bei der EasiRun Europa GmbH und auf LinkedIn eine vielbeachtete Stimme in Sachen Mainframe-Modernisierung, gesprochen.

Herr Graf, warum werden Mainframe-Technologien und Sprachen wie COBOL oder PL/I an deutschen Universitäten kaum noch gelehrt – und welche Lücken entstehen dadurch?

An den Hochschulen liegt der Fokus heute auf Cloud, KI oder agilen Methoden. Mainframe-Sprachen wirken dagegen altmodisch und werden schlicht ausgeblendet. Für die Praxis ist das ein Problem: Nachwuchskräfte beherrschen moderne Sprachen, fühlen sich beim ersten Kontakt mit Mainframe-Systemen aber wie in einer fremden Welt. Nötig sind daher Strukturen und Lernumgebungen, die Wissen erfahrener Kollegen mit den Perspektiven der jungen Generation verbinden. Nur so wird aus einem potenziellen Generationenkonflikt eine produktive Zusammenarbeit.

Da die Unis das Thema kaum abdecken, setzen Unternehmen auf externe Weiterbildung. Welche Probleme bringt das mit sich?

Externe Angebote sind wichtig, stoßen aber oft an Grenzen. Manche Trainings sind sehr theoretisch und nicht mehr auf dem Stand der Praxis. Andere konzentrieren sich stark auf Syntax und lassen den Praxisbezug vermissen. Das ist fatal, denn genau dieser Bezug macht den Unterschied. Es gibt sehr gute Programme, aber eben auch solche, die eher abschrecken. Weiterbildung muss heute aktuell, praxisnah und motivierend sein, sonst erreicht man die junge Generation nicht.

Wie müsste eine zeitgemäße Mainframe-Ausbildung aussehen, damit sie junge Menschen wirklich erreicht?

Ausbildung muss greifbar und verständlich sein. Junge Leute wollen wissen, warum sie etwas lernen und welchen Nutzen es hat. Beispiele wie Gehaltsabrechnung oder Lagerverwaltung sind dafür ideal, weil jeder einen Bezug dazu hat. So wird COBOL plötzlich konkret, nicht abstrakt. Eine moderne Ausbildung darf nicht im Elfenbeinturm stattfinden, sondern muss reale Use Cases nutzen und Schritt für Schritt von der Theorie in die Praxis führen. Dann entsteht Begeisterung – und Verständnis, warum es lohnt, in diese Sprachen einzutauchen.

PL/I wird derzeit besonders dringend nachgefragt, spielt in der Weiterbildung aber kaum eine Rolle. Woran liegt das?

PL/I ist ein Sonderfall. Ursprünglich wollte man die Stärken von COBOL und Fortran in einer Sprache vereinen – das Ergebnis war mächtig, aber komplex. Genau diese Komplexität ist bis heute die größte Hürde. Viele Anbieter scheuen den Aufwand, einen strukturierten Einstieg zu entwickeln, weshalb PL/I in Trainings oft unterrepräsentiert bleibt. Für Unternehmen, die dringend Know-how suchen, ist das eine Herausforderung, obwohl die Sprache enormes Potenzial für komplexe Anwendungen hat.

Fortran wird an Unis, etwa in der Meteorologie, noch gelehrt. Können Quereinsteiger mit Fortran-Erfahrung in die Finanz-IT wechseln?

Ja, definitiv. Wer Fortran kennt, bringt ein gutes Verständnis für strukturierte Datenverarbeitung und mathematisch-technische Logik mit. Viele Konzepte ähneln denen in COBOL oder PL/I, was den Umstieg erleichtert. Mit gezielter Weiterbildung lassen sich solche Quereinsteiger relativ schnell in den Finanz- oder Versicherungsbereich integrieren – ein sinnvoller Weg, um bestehende Lücken zu schließen.

Und zum Schluss eine Frage, die man kaum kurz gefasst beantworten kann: Wie gelingt Wissenstransfer zwischen erfahrenen Experten und der jungen Generation?

Der Wissenstransfer ist wohl die größte Herausforderung. Vieles steckt in jahrelanger Erfahrung und Intuition, die man nicht einfach dokumentieren kann. Hier braucht es drei Dinge: Erstens die erfahrenen Profis, die bereit sind, ihr Wissen zu teilen. Zweitens Dienstleister, die Inhalte aufbereiten und als Brückenbauer fungieren. Und drittens Technologien wie KI, die helfen können, Code zu analysieren und Muster sichtbar zu machen. Zusammengenommen lässt sich so Wissen systematisch weitergeben – nicht nur als Pflicht, sondern als Chance für beide Seiten.

Vielen Dank für das Gespräch! (td)

 

Kurzvita

Uwe Graf ist Lead Modernization Architect bei der EasiRun Europa GmbH. Zuvor war er über zwei Jahrzehnte als Freelancer in der System- und Anwendungsprogrammierung unter z/OS und VSEn tätig. Für sein Engagement in der Mainframe-Community wurde er 2025 als IBM Champion sowie als „Influential Mainframer“ von planetmainframe.com ausgezeichnet. Er hat ein Studium der Mathematik / Operations Research abgeschlossen. Seine besonderen Interessen liegen in Programmiersprachen, der Code-Transformation sowie im Wissenstransfer an die nächste Generation von „Mainframern“.

Über die EasiRun Europa GmbH:

Die EasiRun Europa GmbH begleitet Unternehmen bei der Modernisierung ihrer IT-Landschaften und verbindet dabei langjährige Erfahrung mit praxisnaher Beratung. Der Schwerpunkt liegt auf der Transformation von Legacy-Systemen, der Optimierung bestehender Anwendungen und der Integration moderner Technologien. Mit einem ganzheitlichen Ansatz unterstützt EasiRun Organisationen von der strategischen Planung über die Umsetzung bis hin zum Wissenstransfer. Ziel ist es, gewachsene Strukturen nachhaltig zukunftsfähig zu machen und Kunden auf dem Weg in eine flexible, digital ausgerichtete IT-Umgebung zu begleiten.