Die Migration auf ISO 20022 war für Banken keine Option, sondern regulatorische Pflicht – etwa im Rahmen der T2/T2S-Konsolidierung oder des laufenden MT/MX-Übergangs bei SWIFT. Doch nach der Pflicht beginnt die Kür: Wer den neuen Nachrichtenstandard wirklich nutzen will, muss mehr tun als nur empfangen. Viele Banken stehen dabei vor einer bekannten Hürde – ihren gewachsenen Legacy-Systemen. Diese laufen häufig auf Mainframes und sind in alten Programmiersprachen geschrieben – stabil, aber kaum vorbereitet auf neue XML-Datenformate.
Wir haben mit Udo Browarczik, erfahrenem Experten im Zahlungsverkehr, über strukturelle Herausforderungen, technologische Optionen und strategische Schritte gesprochen – und darüber, wie Banken ISO 20022 als echten Hebel für Innovation nutzen können.
Herr Browarczik, viele Banken setzen bei ISO 20022 auf Konverterlösungen. Warum halten Sie das langfristig für riskant?
Konverterlösungen helfen, regulatorische Anforderungen kurzfristig zu erfüllen – sie sind pragmatisch, aber keine nachhaltige Lösung. Sie sorgen lediglich dafür, dass ISO 20022-Nachrichten technisch angenommen und ins alte MT-Format übersetzt werden. Die Chance, die neuen Datenstrukturen aktiv zu nutzen, bleibt ungenutzt. Gerade im Zahlungsverkehr ist das problematisch: Die SWIFT-Welt entwickelt sich nur noch im MX-Format weiter, der MT-Standard wird nicht mehr gepflegt. Wer auf Konverter setzt, friert den Status quo ein und verliert den Zugang zu künftigen Geschäftsarten.
Dazu kommt: Viele Altanwendungen laufen auf Großrechnern, geschrieben etwa in COBOL. Diese Systeme sind oft weder auf große XML-Datenmengen vorbereitet noch flexibel erweiterbar – was Innovation strukturell verhindert.
Wie lässt sich ISO 20022 sinnvoll nutzen, ohne komplette Kernsysteme ersetzen zu müssen?
Ein kompletter Ersatz der Kernsysteme – oft Jahrzehnte alt und geschäftskritisch – ist für viele Banken keine Option. Zu tief ist die Integration, zu hoch wären Kosten und Risiken. Deshalb braucht es einen anderen Weg: Modernisierung durch schrittweise Erneuerung. Konkret heißt das: monolithische Strukturen aufbrechen, dokumentieren, modularisieren. Bestehende Anwendungen – häufig Mainframe-basiert – lassen sich erweitern, indem APIs oder Microservices eingeführt werden, die neue Formate handhaben können. Auch Performance und Datenhandling lassen sich so schrittweise verbessern, ohne das ganze System umzukrempeln. Wer diesen Weg konsequent geht, legt das Fundament für Innovation – ohne auf Stabilität und Verfügbarkeit verzichten zu müssen.
Was können Banken tun, um ihre Altanwendungen technisch für ISO 20022 zu ertüchtigen?
Altanwendungen sind häufig historisch gewachsen, schlecht dokumentiert und eng miteinander verflochten. Änderungen werden dadurch zur Herausforderung – gerade auf dem Mainframe. Ein erster Schritt ist die technische Durchdringung dieser Strukturen: Tools zur automatisierten Analyse und Dokumentation helfen, Schnittstellen und Datenflüsse sichtbar zu machen. Auf dieser Basis können gezielt APIs etabliert oder bestimmte Funktionalitäten in modernere Umgebungen ausgelagert werden. Auch die Verarbeitung großer XML-Strukturen lässt sich so revisionssicher abbilden – etwa durch vorgelagerte Konvertierungs- und Validierungskomponenten, die systemseitig entlasten. Der Umbau gelingt dabei nicht auf einen Schlag, sondern über Jahre – mit klarer Architektur und sauberem Changemanagement.
Welche Rolle spielt der Mensch in der Modernisierung?
Die beste Technik nützt nichts, wenn das Wissen fehlt, sie richtig zu nutzen. Gerade im Bereich der Legacy-Systeme ist Know-how oft über Jahrzehnte gewachsen – und konzentriert sich auf wenige Fachkräfte. Diese Expertinnen und Experten kennen nicht nur den Code, sondern auch die impliziten Regeln im System, die nirgends dokumentiert sind. Umso wichtiger ist es, dieses Wissen zu sichern und weiterzugeben. Das gelingt nur durch gezielte Weiterbildung, systematische Dokumentation und die Einbindung jüngerer Kolleginnen und Kollegen. Mainframes brauchen auch in Zukunft Menschen, die sie verstehen und weiterentwickeln können. Gleichzeitig muss die Organisation offen sein für neue Rollen und bereichsübergreifende Zusammenarbeit – weg vom Silo, hin zur integrativen IT-Steuerung.
Ihr wichtigster Ratschlag für Banken, die ISO 20022 strategisch nutzen wollen?
Mein Appell: Sehen Sie ISO 20022 nicht als lästige Pflicht, sondern als Chance für echten Fortschritt. Wer jetzt klug modernisiert, schafft die Grundlage für Innovation, Effizienz und neue Geschäftsmodelle. Dazu braucht es einen langen Atem – strategische Planung über mehrere Jahre, technische Weichenstellungen (wie API-Fähigkeit oder Cloud-Anbindung) und vor allem: Investitionen in Menschen und Know-how. Der Mainframe wird dabei nicht verschwinden – aber er muss eingebettet werden in ein modernes Ökosystem. Durch modulare Modernisierung, gezielten Technologieeinsatz und kluge Ressourcennutzung können Banken den Sprung schaffen – und ihre Legacy nicht als Last, sondern als Ausgangspunkt für die Zukunft nutzen.
Vielen Dank für das Gespräch. (td)
Kurzvita
Udo Browarczik verfügt über nahezu 40 Jahre Berufserfahrung im Bankwesen. Die letzten 14 Jahre war er als SWIFT-Manager im Auslandszahlungsverkehr einer Landesbank tätig und engagierte sich als Vertreter der Sparkassenorganisation in verschiedenen nationalen und internationalen SWIFT-Usergroups. Nach seiner Mitwirkung am EZB-Projekt TARGET-Migration widmet er sich heute strategischen Fragestellungen rund um Zahlungsverkehr, ISO 20022 und SWIFT-Infrastrukturen.