Dino Legacy Lessons von Uwe Graf

IBM Project Bob: Wie KI Mainframe-Teams beim Wissenstransfer unterstützt

Im Zuge eines Beta-Tests für IBM Project Bob hat sich ein neues Bild davon ergeben, wie künstliche Intelligenz den Wissenstransfer in Mainframe-Teams unterstützen kann

Thema ist aktueller denn je: Viele Unternehmen stehen vor der Herausforderung, jahrzehntelang gewachsenes Know-how zu sichern, bevor zentrale Expertinnen und Experten in den Ruhestand gehen. In zahlreichen Organisationen ist das Wissen über Legacy-Systeme weitgehend implizit und kaum dokumentiert – ein Risiko, das mit jedem Generationswechsel größer wird.

Mainframes gelten zwar als extrem zuverlässig, doch die Komplexität ihrer Codebasen stellt gerade neue Mitarbeitende vor enorme Hürden. Dokumentation ist häufig lückenhaft, und das Verständnis historischer Entscheidungen erschließt sich oft nur denjenigen, die schon lange mit den Systemen arbeiten. Diese Wissensabhängigkeit erschwert Modernisierungsprojekte und hemmt die Weiterentwicklung von Anwendungen, die weiterhin geschäftskritisch sind.

IBM Project Bob setzt genau an dieser Stelle an. Das Tool versteht sich als „AI-first IDE“ und soll nicht nur den Entwicklungsprozess beschleunigen, sondern auch bislang schwer zugängliche Teile des Systems transparenter machen. Im Kern kombiniert Bob Funktionen zur Codeanalyse, Dokumentation, Refactoring-Unterstützung und Modernisierung. Zudem berücksichtigt das System Sicherheitsvorgaben, Compliance-Richtlinien und die Struktur der jeweiligen Repositorys.

Interpretation und semantische Aufbereitung von Legacy-Programmiersprachen

Besonders relevant ist, dass Bob auch Legacy-Sprachen wie COBOL oder RPG interpretieren und semantisch aufbereiten kann. Diese Fähigkeit eröffnet einen neuen Zugang zu lange gewachsenen Anwendungen und erleichtert es, Zusammenhänge zu erkennen, die bislang ausschließlich dem langfristig erfahrenen Personal vertraut waren. Entwicklerinnen und Entwickler können Fragen direkt an das System richten und erhalten kontextbezogene Antworten, ohne sich durch große Mengen an Dokumentation arbeiten zu müssen.

Damit könnte Bob zu einem Werkzeug werden, das nicht nur aktuelle Aufgaben schneller bewältigt, sondern auch hilft, implizites Wissen zu konservieren. Entscheidungen, Muster und historische Besonderheiten lassen sich durch die KI neu einordnen und dokumentieren. Für neue Mitarbeitende bietet dies einen deutlich verkürzten Einstieg in komplexe Umgebungen.

Gleichzeitig positioniert IBM Project Bob sich als Hilfsmittel für Modernisierungsstrategien. Die KI identifiziert Bereiche des Codes, in denen ein Refactoring sinnvoll erscheint, und zeigt auf, welche Komponenten ohne größere Risiken weiterbetrieben werden können. Dadurch ermöglicht Bob einen pragmatischen Ansatz zur Modernisierung, der die Stabilität bestehender Systeme mit schrittweisen Verbesserungen verbindet.

Faktor Mensch weiter unverzichtbar

Trotz dieser Potenziale bleibt der Einsatz von Bob an Rahmenbedingungen gebunden. Die Qualität des zugrunde liegenden Codes, klare Governance-Strukturen und gepflegte Repositories sind entscheidend für den Erfolg eines solchen Tools. Ebenso bleibt der menschliche Faktor unverzichtbar: Entscheidungen zu Architektur, Prioritäten und Geschäftslogik lassen sich nicht automatisieren. KI kann nur unterstützen, nicht ersetzen.

Zudem befindet sich Project Bob weiterhin in einer Tech-Preview. Die endgültige Funktionsbreite, insbesondere für IBM Z und tiefergehende Modernisierungsprozesse, hängt vom weiteren Produkt-Rollout ab.

Ungeachtet dieser offenen Punkte deutet vieles darauf hin, dass Project Bob ein wichtiges Werkzeug für den Wissenstransfer in Mainframe-Umgebungen werden könnte. Die KI bietet erstmals die Möglichkeit, komplexes Expertenwissen in strukturierter Form zugänglich zu machen. Damit schließt sie eine Lücke zwischen menschlicher Erfahrung und technischer Dokumentation, die über Jahrzehnte hinweg gewachsen ist.

Sollte IBM den eingeschlagenen Kurs fortsetzen, könnte Project Bob zu einem zentralen Baustein werden, um Mainframe-Systeme langfristig wartbar, sicher und modernisierbar zu halten – und sie zugleich für die nächste Generation von Entwicklern zugänglicher zu machen.

 

Über den Autor: Uwe Graf ist Lead Modernization Architect bei der EasiRun Europa GmbH und gilt auf LinkedIn als eine der profiliertesten Stimmen in Sachen Mainframe-Modernisierung. Seine Beiträge sind fachlich präzise, pointiert – und unverkennbar durch den kleinen Dino, der als Symbol für den Brückenschlag zwischen Tradition und Innovation steht. Für sein Engagement in der Mainframe-Community wurde er 2025 sowohl als IBM Champion als auch als „Influential Mainframer“ von planetmainframe.com ausgezeichnet