Die strategische Neuausrichtung von AWS auf der re:Invent 2025 in Las Vegas wird unterschiedlich bewertet.
Während wir im „Legacy IT Center“ in unserem Beitrag darauf hingewiesen hatten, dass der Cloudanbieter seine Modernisierungsstrategie stärker an den gewachsenen IT-Landschaften der Unternehmen auszurichten scheint, interpretiert ein Artikel auf heise.de die Entwicklung deutlich zugespitzter. Unter dem Titel „Amazons radikaler Plan für veraltete Software“ beschreibt der Autor die neuen Werkzeuge AWS Transform und Transform Custom als technologische Offensive, mit der AWS Anwendungen in gewachsenen IT-Strukturen automatisiert modernisieren und damit einen weitreichenden Paradigmenwechsel anstoßen wolle.
heise.de verweist darauf, dass AWS bisher vor allem Mainframe-Anwendungen und VMware-Umgebungen automatisiert analysiert habe, nun aber beanspruche, praktisch alle Arten von Legacy-Systemen transformieren zu können – einschließlich Individualsoftware und proprietärer Sprachen. Verwiesen wird auf eine aufmerksamkeitsstarke Inszenierung auf der Messe, bei der mit „Tech Debt“ gekennzeichnete Container symbolisch auf Sprengstoffpakete fielen. Auch vermutet der Autor infolge der Pläne von AWS eine Verschiebung der Entwicklerrolle: weg von manueller Codepflege, hin zur Überprüfung KI-generierter Änderungsvorschläge, was den Aufwand großer Refactoring-Projekte erheblich senken solle.
Genau hier setzt die Entgegnung des Mainframe-Experten Uwe Graf an. Er hält die Vorstellung eines KI-getriebenen Befreiungsschlags für attraktiv, aber technisch und organisatorisch zu kurz gegriffen. Transformation scheitere seiner Erfahrung nach selten an fehlenden Werkzeugen, sondern an kulturellen und strukturellen Bremsklötzen: unklaren Verantwortlichkeiten, Silos, mangelndem Wissenstransfer. Graf warnt zudem vor der Budgetrealität solcher Vorhaben – große Modernisierungsprojekte entwickelten sich schnell zu millionenschweren Programmen mit hoher Risikodynamik, insbesondere wenn Abhängigkeiten im Bestand unterschätzt werden. Sein zentrales Argument lautet: „Technik modernisiert Systeme. Aber Kultur modernisiert Unternehmen.“
Die gegensätzlichen Bewertungen der AWS-Pläne lassen sich vor allem dadurch erklären, dass Messeinszenierung und inhaltliche Botschaften unterschiedliche Signale senden: Während die von heise.de beschriebene „Tech-Debt-Sprengstoff“-Szene eine radikale Abkehr vom Bestand nahelegt, wirkten die Aussagen von AWS-CEO Matt Garman in der Keynote deutlich kooperativer. Er betonte die schrittweise Öffnung und Einbindung bestehender Systeme – ein Ansatz, den wir bereits in unserem Beitrag vom 5. Dezember als Annäherung an die Realitäten gewachsener IT-Landschaften eingeordnet hatten. (td)

Die drastische Darstellung von „Tech Debt“ steht im Spannungsfeld zu AWS’ eher integrativer Modernisierungsbotschaft und erklärt die gegensätzlichen Reaktionen zur Legacy-IT-Strategie. (Foto: AWS)


