Vor dem Hintergrund der aktuellen Veröffentlichung einer Atlanta-Fed-Studie, welche die wirtschaftlichen Schäden veralteter IT-Systeme in den USA während der Pandemie auf über 40 Milliarden Dollar beziffert, rückt ein Ereignis aus dem Jahr 2020 wieder ins Bewusstsein: die plötzliche Rückkehr der COBOL Cowboys.
Wie CNN und das Magazin Intelligencer damals berichteten, suchten während der Covid-19-Krise mehrere US-Bundesstaaten dringend nach Programmierern, die noch mit der Jahrzehnte alten Sprache COBOL umgehen konnten. Die massiven Anstiege bei den Arbeitslosenanträgen hatten viele Verwaltungssysteme überfordert, die noch auf Mainframes aus den 1970er- und 1980er-Jahren liefen.
Der Gouverneur von New Jersey, Phil Murphy, brachte das Dilemma auf einer Pressekonferenz auf den Punkt: „Wir haben Systeme, die über 40 Jahre alt sind. Es wird viele Nachbetrachtungen geben – und eine davon wird die Frage sein, wie wir hier gelandet sind, in einer Situation, in der wir buchstäblich COBOL-Programmierer brauchen.“ Sein Appell stand beispielhaft für viele ähnliche Hilferufe quer durch die Vereinigten Staaten.
Laut CNN befanden sich einige Staaten gerade mitten in der Anwendungsmodernisierung, als die Pandemie die Projekte abrupt stoppte. In Connecticut etwa bestand das Arbeitslosensystem aus einem „40 Jahre alten COBOL-Mainframe und vier weiteren separaten Systemen“. Gemeinsam mit anderen Bundesstaaten – darunter Maine, Rhode Island und Oklahoma – war zwar bereits ein neues System in Arbeit, doch dessen Einführung verzögerte sich weit über die Krise hinaus.
COBOL – die „Common Business-Oriented Language“ – wurde bereits 1959 entwickelt und bildet seit Jahrzehnten das Rückgrat geschäftskritischer Systeme. Reuters bezifferte 2017 die im Einsatz befindliche COBOL-Codebasis auf rund 220 Milliarden Zeilen. Diese Zahl wurde 2020 vielfach erneut zitiert. Der frühere IBM-Entwickler Bill Hinshaw, Gründer der Beratungsfirma Cobol Cowboys, betonte damals, dass rund 95 Prozent der Kredit- und Debitkartentransaktionen über COBOL-Systeme laufen.

So begann die Geschichte vieler noch aktiver Legacy-Systeme: COBOL-Programme auf Lochkarten, hier an der New York University im Jahr 1979. © Jonathan Schilling, 2022 / Wikimedia Commons / CC BY-SA 4.0.
Wie NPR und PBS berichteten, kam es durch die sprunghaft gestiegenen Arbeitslosenzahlen zu massiven Engpässen. Pensionierte Experten sprangen ein, um kritische Systeme notdürftig anzupassen. Der Spiegel notierte im April 2020: „Die Zahl der US-Amerikaner, die sich in der Coronakrise arbeitslos melden, bricht alle Rekorde des Landes, allein in der zweiten Märzhälfte waren es knapp zehn Millionen. In einigen Staaten kommt die Verwaltung kaum noch hinterher, was auch an ihrer veralteten Technik liegt.“ Der New Scientist sah darin ein „seit Jahrzehnten heraufziehendes IT-Desaster“, das durch die Pandemie sichtbar geworden ist.
Der Cybersecurity-Experte Joseph Steinberg führte gegenüber CNN an, dass viele US-Universitäten COBOL seit den 1980er-Jahren nicht mehr gelehrt hätten – mit der Folge, dass die meisten Fachkräfte im Ruhestandsalter seien. Trotzdem bleibe die Sprache tief in der Infrastruktur von Banken und Behörden verankert. Steinberg fasste die Lage pointiert zusammen: „Gouverneure sollten in einer Pandemie nicht über Computersysteme nachdenken müssen – und wir sollten Systeme haben, die Notlagen nicht noch verschärfen.“
Rückblickend markierte die sogenannte COBOL-Cowboy-Krise den Moment, in dem die Verwundbarkeit jahrzehntealter IT-Strukturen erstmals ein globales Medienthema wurde. Die Covid-19-Pandemie fungierte als Katalysator – sie machte sichtbar, wie tief historische Software in den kritischen Prozessen von Wirtschaft und Verwaltung verankert ist. Die aktuelle Atlanta-Fed-Studie gibt diesem historischen Weckruf nun eine messbare Dimension: Veraltete IT ist kein nostalgisches Relikt, sondern kann bei ausbleibender Modernisierung zu einem milliardenschweren Risiko werden. (td)


